Die
Leidenschaft, Theater zu schauen, Theater zu spielen, ist ein Elementartrieb des
Menschen. [...] Das bürgerliche Leben ist
eng begrenzt und arm an Gefühlsinhalten. Es hat aus seiner Armut lauter Tugenden
gemacht, zwischen denen es sich schlecht und recht durchzwängt.
Der normale Mensch empfindet gewöhnlich einmal im
Leben die ganze Seligkeit der Liebe, einmal den Trubel der Freiheit, er haßt
einmal gründlich, er begräbt einmal mit tiefem Schmerz ein geliebtes Wesen und
stirbt am Ende einmal selbst. Das ist zu wenig für
die uns eingeborenen Fähigkeiten, zu lieben, zu hassen, zu jubeln, zu leiden.
Wir turnen täglich, um unsere Muskeln, unsere Glieder zu stärken,
damit sie nicht einschrumpfen. Aber unsere
seelischen Organe, die doch für eine lebenslängliche Arbeit geschaffen sind,
bleiben ungebraucht und verlieren daher mit der Zeit ihre Leistungsfähigkeit.
Und doch hängt unsere seelische, geistige, ja sogar
unsere körperliche Gesundheit auch von der unverminderten Funktion dieser Organe
ab. Wir spüren unverkennbar, wie ein herzliches Gelächter uns befreien, ein
tiefes Schluchzen uns erleichtern, ein
Zornesausbruch uns erlösen kann. [...]
Unsere Erziehung freilich arbeitet dem entgegen. Ihr erstes Gebot
heißt: Du sollst verbergen, was in dir vorgeht. [...]
Ich glaube an die
Unsterblichkeit des Theaters. Es ist der seligste Schlupfwinkel für diejenigen,
die ihre Kindheit heimlich in die Tasche gesteckt und sich damit auf und davon
gemacht haben, um bis an ihr Lebensende
weiterzuspielen.
Die Schauspielkunst ist aber zugleich die Befreiung von der
konventionellen Schauspielerei des Lebens, denn: nicht Verstellung ist die
Aufgabe des Schauspielers, sondern
Enthüllung.
Wir können heute über den Ozean fliegen, hören und sehen. Aber der Weg
zu uns selbst und zu unseren Nächsten ist sternenweit. [...]*
Max Reinhardt
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